So konnte es den Anschein haben, dass die von größter medialer Aufmerksamkeit begleitete Prozessführung gegen Adolf Eichmann tatsächlich die erste breite Auseinandersetzung mit den Verbrechen war. Er sollte diesen Sturm nicht nur ventilieren, sondern mit seiner öffentlichen Kritik besonders deutlich machen, dass es in Arendts Text nicht um eine beobachtende Darstellung des Prozessverlaufs ging, sondern um die Grundfragen und Konditionen jüdischer Existenz nach der Katastrophe. Juli 1963, ebd., S. 438-445, hier S. 443. Zudem bereiteten die Akteure der JCR und ihrer Dachorganisation Jewish Restitution Successor Organization (JRSO) den Weg für die Verhandlungen des rechtshistorisch präzedenzlosen „Luxemburger Abkommens“ (1952) zwischen dem Staat Israel, der Bundesrepublik und der nicht-staatlichen Conference on Jewish Material Claims Against Germany zur Regelung der Restitutionsmaßnahmen für die Opfer der deutschen Verfolgungs- und Vernichtungspolitik. Hannah Arendt war eine der einflussreichsten politischen Denkerinnen des 20. Gesche-hen und Vergegenwärtigung“ hervorgegangen, die im Herbst 2000 vom Hannah-Arendt-Institut in Dresden veranstaltet wurde. Im Gegenteil: Wann immer ich die Verantwortung für das, was ich tue oder lasse, anderen in die Schuhe schiebe, öffne ich aufgrund dieser selbstverschuldeten moralischen Unmündigkeit der Banalität des Bösen Tür und Tor. Essays & Kommentare 1, hrsg. Insbesondere auch, da ihr die politische Zukunftsgestaltung ein zentrales Anliegen war und sie zukünftige Katastrophen abwenden wollte, gab es für sie nur eine Antwort auf Scholems Zweifel: „[…] wenn Sie vielleicht recht haben, dass es ein ‚abgewogenes Urteil’ noch nicht geben kann, obwohl ich es bezweifle, so glaube ich, dass wir mit dieser Vergangenheit nur fertig werden, wenn wir anfangen zu urteilen, und zwar kräftig.“, [14]Das tat sie, und zwar nicht nur in Bezug auf das jüdische Handeln. Ihr Begriff der "Banalität des Bösen… Grundlagentexte" sowie für die Insel-Bücherei "Die schönsten deutschen Aphorismen" heraus. Hannah Arendt selbst war der Ansicht gewesen, dass es für sie von existenzieller Bedeutung sei, dem Prozessgeschehen beizuwohnen, und hatte ihre Reise nach Jerusalem als Beobachterin für den New Yorker daraufhin angeregt. Diese Überzeugungen waren in ihrem Eichmann-Bericht deutlich spürbar geworden, weswegen Scholem sie besonders scharf für ihr „tiefes Ressentiment auf alles […], was mit dem Zionismus zusammenhängt“, angriff und sie des „Hohn[s] auf den Zionismus“ bezichtigte.[8]. In letzterem Teil möchte ich mich auf die Beamten, die im Zuge der sogenannten „Arisierung“ jüdischen Eigentums an der Judenverfolgung beteiligt waren, fokussieren. Die geistlose Mittelmäßigkeit Eichmanns passt nicht zum abgrundtief Bösen seiner Taten. 1963, dt. Winfried Kretschmann über Hannah Arendt - Es zählen die Argumente, nicht die Meinungen(Deutschlandfunk Kultur, Fazit, 02.07.2020), Lakonisch Elegant - #83 Rauchen und Denken: Wie wurde Hannah Arendt zur Kultfigur? Dieser Umstand erklärt die den Prozess begleitende und Hannah Arendts Berichterstattung nachfolgende öffentliche Kontroverse und verdeutlicht, warum sich gerade hier ein Tor zu einer weitreichenden Diskussion um den Stellenwert und die Bedeutung der nationalsozialistischen Judenvernichtung zu öffnen schien. Es wird, so Arendt weiter, begangen von Menschen, die sich weigern Individuen zu sein und es ist exakt dieses Phänomen, was sie als „Banalität des Bösen“ bezeichnet. Ein Bericht von der Banalität des Bösen, München: Piper 1964, 4. Entdecken Sie mit der Dlf Audiothek die Vielfalt unserer drei Programme, abonnieren Sie Ihre Lieblingssendungen, wählen Sie aus Themenkanälen und machen daraus Ihr eigenes Radioprogramm. Scholem stellte sich mit seiner Aussage als Teil des von ihm territorial verorteten und sakral imprägnierten jüdischen Kollektivs Hannah Arendt gegenüber. Dabei möchte ich zunächst die Theorie der Banalität des Bösen von Hannah Arendt erklären und sie dann in zwei verschiedenen Teilen auf Adolf Eichmann und auf Schreibtischtäter aus der Finanzbürokratie anwenden. 5 Vgl. Lakonisch Elegant - #83 Rauchen und Denken: Wie wurde Hannah Arendt zur Kultfigur? In seiner Kritik sollte er immer wieder darauf zurückkommen, dass es ihr an „Herzenstakt“ fehle und sie „Herzlosigkeit im Urteil“ walten ließe – eine Kategorie der Beurteilung, die mit den aufgeworfenen analytischen Fragen wenig zu tun hatte, sondern zeigt, dass Scholem emotional betroffen und in seinem Selbstverständnis angegriffen war sowie die kollektive Psyche verletzt sah. Dabei möchte ich zunächst die Theorie der Banalität des Bösen von Hannah Arendt erklären und sie dann in zwei verschiedenen Teilen auf Adolf Eichmann und auf Schreibtischtäter aus der Finanzbürokratie anwenden. Als Hannah Arendt 1961 in Jerusalem den Gerichtssaal betritt, um für den renommierten The New Yorker über den Prozess gegen den Nazi-Verbrecher Adolf Eichmann zu berichten, erwartet sie, auf ein Monster zu treffen. [5] Hannah Arendt, Eichmann in Jerusalem. Denn die weitreichenden Debatten und Forschungen, die zum Beispiel im Kontext der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem sowie von zahlreichen Initiatoren in den Vereinigten Staaten angestoßen worden waren, blieben bis zu Anfang der 1960er Jahre marginalisiert. Aktuell wiederum ist die Erkenntnis von der Banalität des Bösen deshalb, weil es dabei letztlich um gewisse Verhaltensweisen geht, die keineswegs auf die Jahre zwischen 1933 und 1945 beschränkt sind. Wir bräuchten mehr davon. [15] Bereits in ihrem noch während der letzten Kriegsmonate verfassten Essay „Organisierte Schuld“, der 1948 veröffentlicht wurde, hatte Arendt darauf verwiesen, dass der „Verwaltungsmassenmord“ das gesamte deutsche Volk zu seiner Durchführung benötigt und sich durch einen neuen Typus des Funktionärs ausgezeichnet habe – den normalen Menschen.[16]. Hannah Arendt erkannte das Banale im Bösen, den „Hanswurst“ in führenden Nazis . Dieser Befund stimmt nur teilweise. Hierfür stehe… Es scheint gerade diese stellenweise undurchsichtige Verbindung von Beschreibung des Prozessablaufs, Deutungsmustern und Argumenten zu sein, die den vielen Kritikern Arendts anstößig erschien und sie zu einer harschen Beurteilung ihres Textes veranlasste. / Eichmann oder Von der Banalität des Bösen. Ich war nicht da.“[13] Beide, sich nahezu widersprechenden Argumente deuten mit Vehemenz darauf hin, dass Scholem eine umfassende, der jüdischen Opfererfahrung gerecht werdende Repräsentation des Geschehenen zu diesem Zeitpunkt für unmöglich hielt – und dies zum einen aufgrund der Beschaffenheit des Ereignisses, das sich im Kern dem Verstehen versperrt, zum anderen aber auch aus Gründen, die mit seinen persönlichen Erfahrungen, mit der Unmöglichkeit eines distanzierten Blicks und mit dem eigenen Trauma zusammenhingen. In seiner Kritik enthalten war der Vorwurf, Hannah Arendt lehne den Zionismus und die Idee einer Einheit des jüdischen Volkes in Israel ab. Das Buch Arendts, das eindeutige Berührungspunkte mit seiner Entstehungszeit in den Vereinigten Staaten sowie mit Arendts Umfeld und ihrer JCR-Arbeit aufweist, ist nur das herausragende Beispiel der vielfältigen in unterschiedlichen Medien und Genres konservierten Formen der Auseinandersetzung mit jüdischer Geschichte und dem Holocaust im Umfeld der jüdischen Restitutionsbemühungen nach 1945. In Auschwitz hat sich der Boden der Tatsachen in einen Abgrund verwandelt, in den jeder hineingezogen werden wird, der nachträglich versucht, sich auf ihn zu stellen.“ Sie schrieb „im Bewusstsein des jüdischen Schicksals in unserem Jahrhundert“. Zur Ironie, ja zur Tragik der Geschichte gehört freilich, dass Arendt die Banalität des Bösen ausgerechnet anhand eines Beispiels erkannte, angesichts dessen sie sich irrte. Die Entrechtung und Verfolgung von Juden in der Zeit des Nationalsozialismus sowie ihre eigene kurzzeitige Inhaftierung durch die Gestapo bewogen sie 1933 zur Emigration aus Deutschland. Januar 1946, ebd., S. 91-100. Erst durch die spezifische Durchführung und auch Inszenierung des Prozesses gegen Eichmann drangen diese Fragen tatsächlich in die Weltöffentlichkeit vor. via Flickr/CC BY 2.0. [17] In diesem Sinne endet auch ihr Eichmann-Bericht mit einer Wendung in Wahrnehmung und Sprache, die diese viel früher geschriebenen Erkenntnisse wieder einzuholen, zumindest anzudeuten vermag: „In diesen letzten Minuten war es, als zöge Eichmann selbst das Fazit der langen Lektion in Sachen menschlicher Verruchtheit, der wir [im Prozess] beigewohnt hatten – das Fazit von der furchtbaren Banalität des Bösen, vor der das Wort versagt und an der das Denken scheitert.“[18]. Zentrale Teile der Auseinandersetzung zwischen Arendt und Scholem aus dem Jahre 1963 knüpfen also an eine schon lange währende Debatte an. Jenseits des eigentlichen Geschehens im israelischen Gerichtssaal ist es allem voran Hannah Arendts berühmt gewordener Bericht zum Prozess gewesen, der zunächst in fünfteiliger Serie in der Zeitschrift The New Yorker und danach in Buchform unter dem Titel „Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen ist ein Buch der politischen Theoretikerin Hannah Arendt, das sie anlässlich des 1961 vor dem Bezirksgericht Jerusalem geführten Prozesses gegen den SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann verfasste. Der Briefwechsel, hrsg. Dezember 1961 fand in Jerusalem der Eichmann-Prozess statt. [6] Für die zeitgenössischen Kritiken selbst vgl. Die parallel zu dieser Arbeit entstandenen Artikel Hannah Arendts zeugen von einem klaren historischen Urteilsvermögen und sind in Hinsicht auf das Verständnis der Geltung und Wirkung des Zivilisationsbruchs in dieser frühen Zeit einmalig. A Report on the Banality of Evil, New York: Viking/London: Faber and Faber 1963; dt. Die moderne Gesellschaft sollte aufhören, die Sterblichkeit zu verdrängen, meint der Publizist Klaus-Rüdiger Mai. Bestärkt wurde diese Konfrontation durch die Reisen nach Europa kurz nach Kriegsende, die im Auftrag der JCR von Arendt durchgeführt wurden. (Deutschlandfunk Kultur, Lakonisch Elegant, 14.05.2020), Hannah-Arendt-Ausstellung im DHM - Bilder von einer anderen Arendt(Deutschlandfunk Kultur, Fazit, 15.04.2020), "Identitätspolitik stellt sich in ihrer Zuspitzung selbst ein Bein", "Es ist okay zu sagen: Ich kann nicht mehr", Lange Nacht über Lebensentwürfe ohne Kind, Linkenpolitiker Fabio de Masi - Identitätspolitik kann linker Politik schaden, Philosophie der Pause - Nichtstun ist wie sterben üben (Gespräch), Exit. [1] In verschiedenen Zusammenhängen jüdischer Organisationen, Gemeinden, dem jüdischen Kultur- und Wissenschaftsleben und unter den Überlebenden wurden die Verbrechen gleich nach der deutschen Kapitulation bezeugt, dokumentiert, verhandelt, diskutiert und ihre Wirkung auf die weitere politische und historische Entwicklung Europas prognostiziert. Hannah Arendt (1906–1975) war eine der schärfsten politischen Denkerinnen ihrer Epoche. Genauso ist in der Reaktion auf den Artikel bereits vom „Zynismus“ Arendts die Rede. In dieser Rolle trat sie auch in ihrer Prozess-Beurteilung auf – sie empfand es als notwendig, nicht nur die Inhalte, die im Prozess selbst verhandelt wurden, zu dokumentieren und kritisch zu beleuchten, sondern auch auf seine Inszenierungsform, seine Gestalt und damit seine spezifische Art der Durchführung einzugehen. Waren sich beide einig in ihrer postassimilatorischen Selbstbestimmung und damit einer kritischen Ausdeutung der jüdischen Emanzipationsbewegung westeuropäischer Prägung, so waren die Konsequenzen, die beide aus dieser Erkenntnis zogen, sehr unterschiedlich. Elisabeth Gallas, Hannah Arendt und der Eichmann-Prozess. Scholem versprach sich vom Zionismus und der Ansiedlung in Palästina die kollektive Rettung aus den (katastrophisch endenden) Bedingungen jüdischer Existenz in der europäischen Diaspora, Arendt dagegen hielt an universal geltenden Parametern für jüdisches Leben fest. Und es ist dieses Phänomen, das ich bezeichne als „Banalität des Bösen.“ Professor Miller Frau Arendt, Sie klammern den wichtigsten Teil der Kontroverse aus. In persönlichen Krisen – genauso wie in globalen – greifen wir auf alles zurück, was uns Halt verspricht. Texte wie „Organisierte Schuld“ (verfasst 1944), „Konzentrationsläger“ (1948) und „Die vollendete Sinnlosigkeit“ (1950) lassen diese Erkenntnisleistungen deutlich zum Vorschein kommen, sie gerieten aber durch die Kontroverse um ihren Prozessbericht in Vergessenheit. Die vollendete Sinnlosigkeit, in: dies., Nach Auschwitz. Ich allein bin für mein Tun und Lassen selbst verantwortlich, kein anderer kann mir diese Verantwortung abnehmen. Hanna Arendt betrachtet in ihren Vorlesungen über das Böse (1965) die Person Adolf Eichmanns, der während der Zeit des Nationalsozialismus an der Organisation und Koordination des Holocaust beteiligt war, auf ihre Erscheinung während des Gerichtsverfahrens in Jerusalem im Jahr 1961. Ein Kopfhörer für die Übersetzung des Hebräischen war fast immer präsent. So wie Arendts Schriften wurden auch die frühen Aktivitäten jüdischer Organisationen und Persönlichkeiten nach dem Zweiten Weltkrieg im Kontext der überbordenden Dynamik des Kalten Krieges sowie der Westanbindung der Bundesrepublik und des damit verbundenen Abebbens der Entnazifizierungs-Anstrengungen durch die westlichen Alliierten überdeckt. Er war vielmehr glühender Nazi und überzeugter Schreibtischtäter – kurzum: weit mehr als nur ein banaler Bösewicht. Den damaligen Präsidenten des Leo Baeck Instituts Siegfried Moses forderte es gar zu einer „Kriegserklärung“ an Hannah Arendt heraus. Challenging the myth of silence, New York 2011; Hasia Diner, We remember with reverence and love, American Jews and the myth of silence after the Holocaust, 1945-1962, New York 2009 und Fritz-Bauer-Institut, Opfer als Akteure. Jahrhunderts. Ein Bericht von der Banalität des Bösen, München 142005, S. 74. Zurück in New York verfasste Arendt im Laufe des Jahres 1962 ihren Bericht zum Prozess und präsentierte hier eine Synthese aus ihren bereits früher entwickelten politischen Denkhaltungen, ihrer Forschung für die „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ und ihrer kritischen Beurteilung der Vorgänge und Aussagen im Jerusalemer Gerichtssaal. [9] Gershom Scholem an Hannah Arendt, 28. Das Buch erschien erstmals 1963 und rief mehrere langanhaltende Kontroversen hervor. März 1963, zit. [10] Arendt, Eichmann in Jerusalem, S. 75. Freiburg 2007, S. 1. Er gab jüngst im Suhrkamp Verlag den Sammelband "Bedingungsloses Grundeinkommen. Friedrich A. Krummacher (Hg. Interventionen ehemaliger NS-Verfolgter in der Nachkriegszeit, hrsg. Kontrovers und eigensinnig nahm sie Stellung zu Ereignissen ihrer Zeit. Gerade das Verstehen schien ihr die Bedingung für das Weiterleben, für das in einer Welt wieder „zu Hause sein“, in der diese Ereignisse geschehen konnten. Sein Vorwurf des vermeintlich „höhnischen Antizionismus“ Arendts wird 1946 noch gepaart mit dem Verweis auf vermeintliche kommunistische Umtriebe der Autorin. Dezember 1960, Hannah Arendt / Karl Jaspers, Briefwechsel 1926-1969, hrsg. Selbst dicke Bücher werden nun plötzlich durchgelesen. April bis zum 15. Ihre dadurch angestoßene intensive Beschäftigung mit der Rekonstruktion der jüdischen Kulturlandschaft Europas vor 1933 wie auch die Ausleuchtung der Raub-, Enteignungs- und Zerstörungsgeschichte jüdischer Besitztümer führte ihr die Geschichte der Verfolgung und Vernichtung ganz unmittelbar vor Augen. Damit konnte ihr einerseits (aus deutscher Perspektive) die Rolle der barbarischen Verführer unschuldiger Massen zugeschrieben und gleichzeitig in ihnen (aus jüdischer Perspektive) das genuin Böse gesehen werden. In den 1960er-Jahren stand Hannah Arendt in der Kritik und wurde angefeindet – wegen des von ihr geprägten Begriffs der „Banalität des Bösen“ im Zusammenhang mit Adolf Eichmann, einem der Hauptorganisatoren des Holocaust. [8] Gershom Scholem an Hannah Arendt, 23. Böses, begangen von Menschen ohne jedes Motiv. Beide Ereignisse überlagerten frühere Initiativen, Auseinandersetzungen und Denkfiguren und führten zu der bis heute gültigen Einschätzung, dass erst der Prozess dem Holocaust Wahrnehmung und Geltung verschafft und dass Arendts Überlegungen zu Nationalsozialismus und Holocaust hier ihren ultimativen Ausdruck gefunden hätten. Ihr Urteil über den Angeklagten Adolf Eichmann und ihre an seiner Person entwickelte Denkfigur von der „Banalität des Bösen“ waren maßgebliche Grundlagen für die viele Kritik, die Arendt nach Veröffentlichung erntete. Hannah Arendts und Gershom Scholems Briefwechsel, der auf Scholems Lektüre des Eichmann-Buches folgte, wurde in drei verschiedenen Sprachen und fünf verschiedenen Periodika veröffentlicht und ist eines der ausdrucksstärksten Zeugnisse der Auseinandersetzung um Hannah Arendts Thesen. ), Holocaust historiography in context. dazu Boaz Cohen, Setting the agenda of Holocaust research. [2] Nur vereinzelt, so zum Beispiel in Form von Arendts opus magnum „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ von 1951 (dt. Hannah Arendt, Eichmann in Jerusalem. mit einem einleitenden Essay von Hans Mommsen 1986; zahlreiche weitere Ausgaben und Auflagen. Die Vorstellung Arendts, die Vernichtung der Juden als ein „Verbrechen gegen die Menschheit, begangen am jüdischen Volke“[5], zu kategorisieren, das sich aus bestimmbaren Elementen der modernen Massengesellschaft herauskristallisiert habe, kam vielen jüdischen Zeitgenossen als ein Verrat an der spezifisch jüdischen Leiderfahrung vor, die durch Arendts allgemeingültige Interpretationen zu verblassen drohte.[6]. Arendt dachte anders darüber – trotz oder gerade wegen der persönlichen Nähe und dem eigenen zufälligen Überleben sah sie es als ihre Pflicht an, sich den Ereignissen zuzuwenden und diese zu verstehen. Gesellschaft, Psychologie. Und damit meine ich […], dass ich keiner Organisation angehöre und immer nur im eigenen Namen spreche.“[11] In diesem Duktus ist auch ihre Antwort auf Scholems Kritik bezüglich ihres vermeintlich nicht-jüdischen Kollektivbewusstseins zu lesen: Hannah Arendt dachte vom Individuum aus, das sich zwar eindeutig auf Zugehörigkeit zum Kollektiv beziehen könne, solle und müsse, aber letztendlich autonom über Handlungen und Vorstellungen entscheide. Genauso wie sich das historische Bewusstsein für die Ereignisse des Holocaust schon weit vor 1961 entwickelte und in das Prozessgeschehen, seine Einordnung und seine Berichterstattung einfloss, so ist Hannah Arendts Bericht in den Zusammenhang mit ihren früheren Schriften zum Holocaust einzuordnen, um so ihren zentralen Beitrag zum modernen Denken und seinen Verwerfungen durch den Traditionsbruch richtig zu verstehen. Weniger bekannt ist, dass auch Hannah Arendt federführend in der JCR tätig war. So unaufgeregt sachlich, bodenständig und souverän. Dass dies besonders betont werden muss, liegt nicht zuletzt daran, dass die Banalität des Bösen auch heute allgegenwärtig ist. Diese betraf zum einen die Entwicklung eines historischen Bewusstseins für die Verbrechen des Holocaust und zum anderen die der Rezeption von Hannah Arendts Schriften. Essays, Frankfurt a. M. 2000, S. 35-49; dies., Konzentrationsläger, in: Die Wandlung 3 (1948), H. 4, S. 309-330; dies., Social Techniques and the Study of Concentration Camps, in: Jewish Social Studies 12 (1950), H. 1, S. 49-64, dt. Major Trends“ mit den Worten geschickt, „dass die Lektüre Ihrem jüdischen Herzen, ohne unbescheiden zu werden, einen großen Schwung geben wird“. ), After the Holocaust. Es trotzt dem Denken, denn sobald das Denken das Böse zu verstehen sucht und die Prämissen und Prinzipien, die ihm zugrundeliegen, wird es frustriert, weil es da nichts findet. Hannah Arendt und Eichmann in Jerusalem 75 Die Autoren 81. Juni 1963, in: Arendt Scholem, Briefwechsel, S. 428-434, hier S. 431. Im Zentrum der Verhandlung in Jerusalem standen nämlich nicht vorrangig die Person Eichmann und seine Taten, sondern die Geschichte der Juden unter nationalsozialistischer Herrschaft selbst. Der Prozess gegen Adolf Eichmann 1961 in Jerusalem wird gemeinhin als Initialmoment der öffentlichen Wahrnehmung des Holocaust verstanden. Die "Banalität des Bösen" erkannte Hannah Arendt im Eichmann-Prozess, doch ihre Theorie ist über Einzeltäter hinaus aktuell. von Katharina Stengel (= Jahrbuch zur Geschichte und Wirkung des Holocaust 12), Frankfurt a. M./New York 2008. [18] Arendt, Eichmann in Jerusalem, S. 371. © 2020 ZEITGESCHICHTE ONLINE (ISSN 2366-2700). Was er dabei überging, war, dass Hannah Arendt von Anbeginn als Ausgangspunkt ihres Nachdenkens in Folge des Nationalsozialismus deutlich unterstrichen hatte, „dass in der Vergangenheit etwas geschehen ist, was nicht einfach schlecht oder unrecht oder grausam war, sondern was unter keinen Umständen hätte geschehen dürfen. [13] Gershom Scholem an Hannah Arendt, 23. Sie gedeiht im kranken Burnout-Kapitalismus der Selbst- und Fremdausbeutung ebenso prächtig wie in mehr oder minder gelenkten Demokratien, die Alternativlosigkeit säen und Politikverdrossenheit ernten. Der programmatische Titel eines populären Hannah-Arendt-Aufsatzes lautet: "Die Freiheit, frei zu sein". Die Denkanstöße und politischen Strategien, die zum Beispiel zu Fragen der strafrechtlichen Ahndung der Kriegsverbrechen, des Völkerrechts, der politischen Zukunft Europas, der Dokumentation und historischen Einordnung des Geschehenen sowie im weiteren Umfeld der umfassenden jüdischen Restitutionsanstrengungen entstanden, zeugen von einer sich stetig weiterentwickelnden Aktivität und Auseinandersetzung in Bezug auf den Nationalsozialismus seit den frühen 1940er Jahren. Yad Vashem – A commemorative and a research institute in the 1950s, in: Modern Judaism 20 (2000), S. 277–298. Antworten Melden Deshalb empfanden viele, alles in allem, ihre Form der Darstellung als unangemessen gegenüber der monströsen Realität, die im Gerichtssaal verhandelt wurde. Zunächst wies er Arendts widersprüchliche Kollaborationsvorwürfe zurück, die allerdings wesentlich weniger Raum im Gesamttext einnehmen als gemeinhin unterstellt, und machte deutlich, dass Zeitzeugen nicht zum objektiven Urteil der Geschehnisse in der Lage seien und nur zeitlicher Abstand die Bewertung der Ereignisse ermögliche. Frauen der Geschichte Wie Hannah Arendt die Welt vor der Banalität des Bösen retten wollte. Arendts Buch wurde von zahlreichen Lesern weltweit als Angriffserklärung gegen die Juden selbst gelesen. Mai 2017, Foto: Fabrizio Barbieri (Die Einbindung von Originalaufnahmen gehört zu den Höhepunkten des Films!) Sie gilt als unbequeme Denkerin: Nach der NS-Zeit analysierte Hannah Arendt Wirkungsweisen totalitärer Herrschaft. Ebenso führte die Staatsgründung in Israel mitnichten zu einer öffentlichen Diskussion über die nationalsozialistischen Verbrechen. Oder mit anderen Worten, dass ich unabhängig bin. Die dringenden tagespolitischen Fragen, eine Konsolidierung des Staates und eine zukunftsgewandte, stark von der diasporisch-europäischen Erfahrung losgelöste Staatsdoktrin sorgten in den ersten Nachkriegsjahrzehnten dafür, dass auch in Israel die Stimmen derjenigen, die eine Dokumentation und Beschäftigung mit den Ereignissen des Holocaust anstrebten, wenig Gehör fanden. Einer Perspektive, die sich nicht auf die partikularen Erfahrungen der Opfer, sondern auf das System und die Durchführung des Verbrechens und daraus resultierend auf die Frage seiner möglichen Wiederholung ausrichtete. Emergence, challenges, polemics and achievements, Jerusalem 2008, S. 255-292; Roni Stauber, Confronting the Jewish response during the Holocaust. Eine halbe Million Bücher und mehrere tausend jüdische Ritualgegenstände, die von deutschen Nationalsozialisten in ganz Europa geraubt worden waren und von den Alliierten aufgefunden und gesammelt wurden, kamen in die treuhänderische Verwaltung der JCR. Aufl. [7] Mit ihrem Eichmann-Buch hatte Arendt, Scholem zufolge, offenbar letztgültig bewiesen, dass seine Bemühungen umsonst gewesen waren. Für den Philosophen Philip Kovce sind Arendts Überlegungen noch immer hoch relevant. Vorbemerkung Die nachstehenden Essays sind aus der Vortragsreihe „Auschwitz. Siehe auch: YouTube-Kanal zum Eichmann-Prozess. Ihr bekanntestes Buch, die Banalität des Bösen, war mir ein Begriff. von Eike Geisel und Klaus Bittermann, Berlin 1989, S. 7-30. Hannah Arend schreibt: „Das Böse kommt von fehlendem Denken. Vor diesem Hintergrund beschrieben, erinnerten und diskutierten Arendt und die anderen Beteiligten seit Mitte der 1940er Jahre den Holocaust, seine Bedeutung für das jüdische Kollektiv ebenso wie seine Auswirkung auf ein Verständnis von Geschichte im Allgemeinen. Auf zwei Ebenen haben diese beiden miteinander verknüpften Ereignisse – zum einen der Prozess selbst, zum anderen Arendts Buch, das ebenfalls den Charakter eines „Ereignisses“ annahm – zu einer Schieflage in der öffentlichen Wahrnehmung geführt. 1964) erschien und die Auseinandersetzung mit den im Prozess verhandelten Ereignissen noch bestärkte und verlängerte. Hannah Arendt ist aus Nazideutschland geflohen und lebt mit ihrem Mann Heinrich schon seit 20 Jahren im amerikanischen Exil. Eine doppelte Überschreibung, in: Zeitgeschichte-online, Videomitschnitte des Prozesses in einem eigenen YouTube-Kanal, https://zeitgeschichte-online.de/kommentar/hannah-arendt-und-der-eichmann-prozess. Ihre früher formulierten Positionen finden sich transformiert im Eichmann-Bericht, sind aber selten als solche entschlüsselt worden. [4] Ihre Kritiker bemängelten in erster Linie ihren Stil und Ton, der den meisten sarkastisch, kühl und mitleidlos gegenüber den Opfern des Holocaust erschien. [16] Arendt, Organisierte Schuld, hier S. 39-47. Auch diese Kritik von ihm war nicht neu. In diesem Zusammenhang ist auch die international zusammengesetzte Organisation Jewish Cultural Reconstruction (JCR) zu nennen. Anders gesagt: So sehr ich mich an anderen orientieren kann, um möglichst viele Gesichtspunkte in ein Werturteil miteinzubeziehen, so wenig können andere dieses Urteil für mich fällen, ohne zugleich seinen moralischen Wert zu schmälern. Weltweit sahen Fernsehzuschauer diesen Mann, wie er hinter Panzerglas Platz genommen hatte, Akten und Mikrofon vor sich. Zu abstrakt schien ihnen das geschichtsphilosophische Konzept in Arendts Ausführungen, zu zynisch ihre kritischen Bemerkungen zum israelischen Gemeinwesen und zum Vorgehen des israelischen Staatsanwaltes Gideon Hausner und verfehlt ihre Einschätzung der Handlungsoptionen der Juden während der Verfolgung in Europa. (1992). Zumindest im Kontext jüdischer Politik und Erfahrung geht diese Einschätzung fehl, wie zahlreiche neuere Forschungen zur frühen Nachkriegszeit belegen. [9] Dieser Hinweis ist deshalb von Bedeutung, da er die These untermauert, dass die in der Eichmann-Kontroverse aufeinanderprallenden Positionen ein Ergebnis eines andauernden und spezifisch strukturierten Diskussionsprozesses waren. Die meisten Kommentatoren verkannten, dass es Arendt damit nicht um Verharmlosung oder Banalisierung, sondern um eine Einschätzung der spezifischen Beschaffenheit des bürokratisch verwalteten Massenmords ging, dessen Singularität und Extremität sich für sie gerade in seiner Sachlichkeit, in seiner bürokratischen Form und in den institutionalisierten Praktiken zeigte.
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